Herbst 2005. Between The Balls.
08.10.2005 Luxemburg, Musée National D'Histoire Naturelle Fotos
Wir reisen extra früh ab, weil wir jede Minute genießen wollen, die wir in Luxemburg haben werden. Wir sind in je zwei Doppel- und Einzel zimmern in einem Vier-Sterne-Hotel (also so: ****) untergebracht, wo man zur Begrüßung kleine frische Croissants bekommt. Björn ißt sich daran satt, er denkt, daß es von ihm erwartet wird und will die Einheimischen nicht kränken. Wir verteilen uns: Niklas und Benni als Einzelzimmertypen, Mauri mit Tina und Björn mit Stefanie. Das letztgenannte Team bekommt ein neues Zimmer, in dem, das man ihnen zuerst zuteilt, lässt sich die Balkontür nicht öffnen. Die Handtücher nehmen sie mit. Die drei Teams verbingen ein bißchen Zeit, sehen fern, duschen oder gehen die Gegend erkunden, eben all die Dinge, die sie zuhause nicht machen können. Der Stadtkern ist klein und prachtvoll. Wir finden das Museum sofort, ein herrlicher Ort. Robert begrüßt uns, er ist der Luxemburger Indierockexperte, Sprachgenie und overall good guy. Er und sein Museumsvorgesetzter Patrick, die sonst Tag für Tag Präparate herrichten und arrangieren, lesen uns jeden Wunsch von den Augen ab und wir fühlen uns wunderbar, bauen gemütlich auf und stellen uns auf das baulich und akustisch heikle Foyer ein. Wir werden oben auf den Treppen spielen, das Publikum steht auf den Treppen verteilt. In der ganzen Stadt ist lange Nacht der Museen und in jedem Museum etliche Veranstaltungen, ein totaler Kulturoverkill, der hier aber gepflegt und gelassen durchgeführt wird, wie die Luxemburger überhaupt ALLES gepflegt und gelassen angehen. Bis zum ersten unserer beiden Auftritte ist noch viel Zeit und unsere erste Mission ist die Eröffnung des Käsebuffets. Weil wir zum großen Teil Vegetarier sind, hat man direkt für alle Museumsbesucher ein gigantisches Buffet aufgebahrt, ca. 30 Meter breit und alles ganze Laiber mit extra Schneidepersonal. Außerdem Zwiebelsuppe, die allerdings als Gag mit Speck garniert ist. Wir essen so viele Käsesorten, wie wir alle zusammen Schallplatten besitzen und trinken Wein, nicht die klügste Entscheidung, weil wir jetzt extrem entspannt und schwerfällig werden. Aber irgendwie ist nach wie vor Zeit bis zur Show und wir bekommen eine majestätische Stadtführung von Robis Schwester, bei der wir in gleichem Maße lernen, sehen, staunen und verdauen. Zurück am Museum stellen wir uns ganz langsam in Konzertmodus um, schreiben Setlisten, ziehen uns um und fangen an zu spielen. Es ist sehr voll, das ganze Foyer ist mit Leuten angefüllt. Manierierte Erwachsene, die sich generell für Kultur interessieren und junge Leute interessant finden und die besten Teens und Twens des gesamten Fürstentums, alle sind da. Wir spielen nur wenige Stücke, etwa 20, 25 Minuten als Appetizer für die zweite Hälfte, die viel später sein wird. Beim ersten Song tauchen auf einmal Björns Eltern im Publikum auf, nach und nach entdecken alle Bandmitglieder die beiden, Björn als letzter, der sich vor Verwirrung verspielt (der Beweis). Die beiden behaupten, daß sie zufällig in der Gegend waren und uns mal 'überraschen' wollten; uns allen ist klar, daß sie kontrollieren wollen, ob ihr widerborstiger Sohn und seine Pennerfreunde heimlich Hasch rauchen und laut rülpsend Witze auf Kosten anderer machen. Sie sind zufrieden, da die Anständigkeit der Locas In Love genau wie ihre feine Garderobe keineswegs Fassade ist. Die Show verläuft wunderbar, wir radebrechen auf Französisch und Deutsch, an die abgefahrene Ursprache Luxemburgs wagen wir uns heute noch nicht heran, spielen gut und verabschieden uns bis später, verkaufen CDs und Shirts und sehen uns im Museum um, wo noch zig andere Musik stattfindet, vor allem eher kleinkunstmäßiger Kram mit Leuten, die sitzen und Dschembe oder Klarinette zu sitzenden Gitarristen spielen. Wir fühlen uns sehr gut, die Artefakte sind spitze und man behandelt uns herzlich und respektvoll. Unsere zweite Show fängt prima an und erneut gut besucht, ist aber sehr spät und die Aufnahmefähigkeit der Leute völlig aufgebraucht vom Bombardement mit Kulturangeboten. Wir schaffen es nicht, sie lange zu fesseln und Björn gehen zwei Gitarren kaputt, weshalb wir früher als vorgesehen aufhören und uns verabschieden. Im Casino ist eine Aftershowparty für alle an der Museumsnacht Beteiligten, wo es Suppe für uns geben soll. Wir gehen hin, aber das Casino ist keines, kein Black Jack, Pustekuchen mit Roulette, die Suppe ist alle und unsere Kraft allmählich auch. Wir laufen zurück zum Hotel, wünschen uns eine gute Nacht und gehen auf unsere Zimmer. Benni beschließt, wieder mit dem Biertrinken anzufangen, einem Hobby, das er lange zugunsten seiner beiden Terrarien vernachlässigt hat. Wir sehen beinahe alle unabhängig voneinander Top Of The Pops in einer Wiederholung als Einschlaffernsehen, wo Daniel Küblböck, das arme Huhn, das jetzt aussieht wie Tokio Hotel, singt, daß er als König Rio der Erste hieße und es Helmut Kohl und Ronald Reagan gerne mal 'zeigen' würde. Man hätte diese bizarre Coverversion ja auch einigermaßen auf einen neuen Stand bringen können. Am nächsten Vormittag läuft die 100 besten Deutschrockplatten auf RTL, wo uns Fernsehzuschauern hundsdumme Trashprominenz ihre nutzlosen und uninteressanten Meinungen und Erinnerungen aufdrängt, natürlich auch Claudia Roth und Thomas M. Stein (wobei die beiden eigentlich noch im oberen Drittel des Packs rangieren). Das Frühstück dann ist ein Buffet, auf dem quasi unser Name steht. Alles, was uns im Leben wichtig ist, ist dort für uns bereit (jedenfalls an Eßbarem). Pancakes, Kapern, Ei, Croissants. Der Überfluß ist königlich. Wir sind alle sehr glücklich und würden gerne viel häufiger eingeladen werden, solche Wochenenden zu verbringen. Wir liefern Stefanies Schwester, die als blinder Passagier die Nacht mit im Hotel verbrachte, am Bahnhof ab und machen uns auf eine entspannte Rückfahrt, bei der wir uns fast so gepflegt und gelassen vorkommen, wie unsere neuen Freunde aus Luxemburg.
05.11.2005 Köln, Blue Shell
Jeffrey Lewis hat dem Veranstalter Thomas eine email geschrieben, ob er eine Kölner Band namens Locas In Love kenne und ob diese nicht bei seinem Auftritt mit Schwervon mitspielen könne. Thomas kennt uns natürlich, er ist ja ein alter Freund von uns. Deshalb und weil wir uns freuen, mal irgendwohin eingeladen zu werden, beschließen wir, ein letztes Mal im Blue Shell aufzutreten, was wir eigentlich nicht mehr wollten, aber da wir als Konzertbesucher sowieso gekommen wären, können wir auch direkt unsere neuen Songs ausprobieren und Eintritt und Getränkekosten sparen. Wir und die New Yorker Homies begrüßen uns herzlich, machen uns gegenseitig kleine Geschenke und gehen den Abend sehr gemütlich und fröhlich an. Der Sound ist überraschend ok, seit dem Umbau ist das Blue Shell deutlich wohlklingender als zuvor. Wir fangen an, als es etwa halbvoll ist und spielen ausschließlich unsere neue Platte. Wir sind sehr zufrieden mit unserer Leistung und den immer wärmer werdenden Reaktionen und sehen uns dann zwei sehr schöne Konzerte an. Wir bereuen nicht, doch noch mal ins Blue Shell gekommen zu sein, ein hervorragender Abschied von dieser Bühne. Wir stehen lange in der Gegend herum, freuen uns über alle Leute, die da sind, hängen mit lokalen und internationalen Freunden rum und genießen das eigene Wohlbefinden. Ein schöner Abend.